Boris von Brauchitsch

Adolphe de Meyer. Begegnung mit dem Faun

„Die Musik beginnt da, wo das Wort unfähig ist, auszudrücken. Musik wird für das Unaussprechliche geschrieben; ich möchte sie wirken lassen, als ob sie aus dem Schatten herausträte und von Zeit zu Zeit wieder dahin zurückkehrte; ich möchte sie immer diskret auftreten lassen.“ Was Claude Debussy hier für seine Musik formuliert, trifft im übertragenen Sinn auf die Kunst Adolphe de Meyers zu. Daher ist die Charakterisierung als „Debussy der Fotografie“ (Cecil Beaton) durchaus zutreffend und zeigt zugleich die Wertschätzung seiner künstlerischen Bandbreite zwischen Schärfe und Unschärfe, Kontrast und Verschwinden, Nonchalance und kontrollierter Expression.

Bevor es Jets und damit bald auch den Jetset gab, existierte bereits im 19. Jahrhundert eine weltläufige High Society, die international vernetzt und wie selbstverständlich an vielen Orten beheimatet war. Adolph de Meyer ist ein Musterexemplar dieser Gesellschaft. 1868 in Paris als Sohn eines deutsch-jüdischen Bankiers und seiner schottischen Ehefrau geboren, genoss er ein Studium in Dresden, hatte Malunterricht bei Claude Monet, wurde mit 25 Jahren Mitglied der Royal Photographic Society sowie 1898 der künstlerisch wegweisenden Brotherhood of the Linked Ring und heiratete in London die italienische Marchesa Olga di Caracciolo, vermutlich die uneheliche Tochter des Prince of Wales.

Ab 1910 schuf der Dandy zunehmend Fotografien für Modezeitschriften, die zuvor weitgehend auf Zeichnung und Grafik gesetzt hatten. Damit kann Meyer als erster professineller Modefotograf der Geschichte gelten, der den Zeitschriften Vogue und Vanity Fair mit seinem piktorialistischen Stil, gefärbt durch orientalistische und symbolistische Einflüsse eine dezidiert eigene Note verlieh. Am Ende seiner Londoner Zeit steht die legendäre Fotoserie der Ballets Russes und ihres Startänzers Vaclav Nijinskij.

Sein Einfluss auf nachfolgende Fotografengenerationen ist kaum zu überschätzen, und dennoch sank de Meyers Stern gegen Ende der 1920er Jahre. Wie die sich zwangsweise ständig erneuernde Mode, so entwickelte sich auch die Kunst hin zur Neuen Sachlichkeit und zum Surrealismus. Mit nur geringer Verzögerung wurden die neuen Stile von den Lifestyle-Magazinen aufgegriffen und eingefordert. Meyer war out of time, out of fashion. 1930 starb seine Frau, 1932 trennte sich die neue Herausgeberin von Harper’s Bazaar, Carmel Snow, endgültig von ihrem Cheffotografen.

Bis 1938 blieb Adolphe de Meyer noch in Europa, um dann, erneut ein Jahr vor Kriegsausbruch, mit seinem österreichischen Lebensgefährten in die USA zurückzukehren, sich in Hollywood niederzulassen und die Fotografie zugunsten der Schriftstellerei aufzugeben. Veröffentlicht wurden von seinen Stücken und Roman nichts. 1946 ist er in Los Angeles gestorben.

"Ein sehr empfehlenswertes Buch als Zeugnis der Zeitepoche des `Piktorialismus´, aber auch für die klassische SW-Photographie. Die bibliophile Buchgestaltung in ihrer klaren SW-Optik entspricht diesem wichtigen photographischen Archivbestand zu Modephotographie. Eine übersichtliche Typografie und Themengliederung und ein guter SW-Druck machen das Buch zu einem wichtigen Werk in Deutschland, das sich an Mode- wie Photographie-Interessierte wendet." --- Deutsche Gesellschaft für Photographie, 3-2020

"Erstmals wird dem deutschen Publikum in einer kleinen Monografie von Boris von Brauchitsch der frühe Modefotograf Adolphe Baron de Meyer vorgestellt. (...) Sichtlich legt von Brauchitsch Wert auf erzählerischen Witz und durchkreuzt dann das biografische Narrativ geschickt mit kunsttheoretischen und fotohistorischen Fragestellungen und Recherchen, aber auch gesellschaftspolitischen Überlegungen und solchen zu den ästhetischen und formalen Qualitäten von de Meyers Werk." --- Brigitte Werneburg in der TAZ, 03. Juni 2020

"Genialer Snob - Cecil Beaton nannte ihn den "Debussy der Kamera" und bewunderte das "Changieren des Lichts" in seinen Aufnahmen. Die Rede ist von Adolph Baron de Meyer. "Der erste Modefotograf der Geschichte, der diesen Namen verdient". So beschreibt Boris von Brauchitsch den Fotokünstler gleich zu Anfang seines pointierten, fotohistorisch unterlegten Porträts. (...) Eine Wiederentdeckung." --- Irmgard Berner in Kunst und Auktionen, 24. September 2021

"Das echte Leben ist bisweilen viel unglaublicher als die beste Fantasiegeschichte. Nun hat es der Lebemann und Fotokünstler Adolphe de Meyer nie so ganz genau mit der Wahrheit genommen. Aber selbst das, was Boris von Brauchitsch, Gründungsdirektor des Kunsthauses Kaufdbeuren, historisch verbürgt über seinen Werdegang herausgefunden und in einem herrlichen Buch veröffentlicht hat, lässt den Leser verblüfft und bereichert zurück." --- Martin Frei, in der Allgäuer Zeitung, 6. Juni 2020

Edition Braus, Berlin 2020, ISBN 978-3-86228-108-4

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