Boris von Brauchitsch

Armutszeugnisse

Die Trümmer des Krieges waren weitgehend weggeräumt, die ersten Neubausiedlungen errichtet, da kündigte der Regierende Bürgermeister Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 18. März 1963 eine Stadtsanierung an, die West-Berlin noch einmal ein neues Gesicht geben sollte. 56.000 Wohnungen wurden zum Abriss freigegeben, und der Fotograf Heinrich Kuhn machte sich im Aufrag der Stadt auf den Weg, den Zustand der Altbauten in den Sanierungsgebieten zu dokumentieren, bevor sie auf immer verschwinden würden. Seine atemberaubende Dokumentation wird nun in diesem Band – 50 Jahre nach ihrer Entstehung – erstmals veröffentlicht.

»Boris von Brauchitsch hat für den Band einen informativen Essay über die Geschichte des Berliner Mietshauses geschrieben, der bis ins Jahr 1842 zurückblickt. Er zeigt, dass schon damals Wohnungsnot und Spekulation als zentrale Begriffe der Bauwirtschaft präsent gewesen sind. Brauchitsch macht deutlich, dass die Fotografien Kuhns als Argumentationshilfe für das gigantische Stadtsanierungsprojekt dienten. Er blickt ins spezifisch Berlinerische Geflecht von Politik und Wirtschaft, allgemein unter dem Namen Berliner Filz bekannt, und stellt fest, dass beim Westberliner Sanierungsprogramm Bauherren zugleich Stadtplaner waren, Lobbyisten der Bauwirtschaft und der Gewerbemieter zugleich Geldgeber, und Geldgeber zugleich Bauherren.« --- Ulrich Gutmair in der TAZ, 5. Mai 2014

»Wer sich heute fragt, warum nicht nur die Sozialisten im Osten Berlins, sondern auch die Sozialdemokraten unter dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt in den frühen Sechzigern ganze Altbaublocks einfach niederreißen und abräumen ließen, warum sie also Stadtviertel zerstörten, in welchen der nostalgische Blick heute nur Behaglichkeit und menschliches Maß entdecken möchte: der sollte sich die Fotos von Heinrich Kuhn genau anschauen.« --- Claudius Seidl in der FAZ, 14. April 2014

Edition Braus, Berlin 2014 ISBN 978-3-86228-089-6

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