Boris von Brauchitsch

2020
Aufbruch und Abschied. Wolfgang Krolow zum 70. Geburtstag, Remise am Tempelhofer Berg
30. Juli - 29. August 2020

Es war eine Art persönlicher Revolte, vielleicht auch nur eine individual-anarchistische Flucht, die den gerade 18jährigen Wolfgang Krolow 1968 aus einem Dorf im Pfälzer Wald ausbrechen ließ. Sein Ziel war Indien und er war auf manche Strapaze auf dem Weg dorthin gefasst, nicht jedoch auf die Rauschmittel, die ihn unterwegs erwarteten und seiner Reise in Afghanistan ein Ende setzten. Indien hat er nie erreicht, kehrte jedoch verändert zurück. Schnell wurde ihm klar, dass es für ihn in Deutschland fortan nur eine Stadt geben konnte: Berlin, dieses Paradox aus einge-mauerter Insel und kreativer Entfesselung.
2020 wären es fünfzig Jahre gewesen, dass Berlin – und in Berlin vor allem das Kreuzberg rund um den Chamissoplatz – seine neue Heimat geworden ist.

Mancher Fotograf muss um die Welt reisen, um Motive zu entdecken, braucht das Fremde, um seinen Blick zu schärfen. Nicht so Wolfgang Krolow, der wie kein Zweiter seine Kamera auf Kreuzberg richtete und das Schicksal des Bezirks und seiner Menschen eindringlich in politischen wie poetischen Bildern festhielt.
Manchmal, so erklärte er in späteren Jahren, seien ihm seine schwarz-weißen Bilder nicht hart, nicht kompromisslos genug, stattdessen zu versöhnlich geraten. Doch gerade diese Wärme und Empathie, die viele seiner Fotografien durchstömt, unterscheidet ihn von einer Vielzahl gesellschaftskritischer Dokumentaristen, die auf das Unwirtliche und Spröde, auf Trostlosigkeit und soziale Kälte fokussieren.
Er ist auch nach Albanien gereist, nach Portugal, Gomera oder Wolgograd, denn es war ihm wichtig, nicht als der Kreuzberg-Fotograf betrachtet zu werden, aber am Ende waren es doch seine Bilder aus seinem Viertel, die zu Ikonen wurden. Viele dieser Bilder verstand er selbst als Ermutigungen, Kreuzberg für sich zu erobern und zu behaupten und hier eine Utopie von Vielfalt und Freiheit zu leben. Viele dieser Fotografien besitzen nach Jahrzehnten längst auch eine zusätzliche historische Dimension, die Energie von Widerstand und Lebensfreude haben sie sich dennoch über die Zeiten hinweg bewahrt.

Anlässlich seines 70. Geburtstages, den er nun selbst nicht mehr erlebt, erinnert die Remise am Tempelhofer Berg – keine hundert Meter Luftlinie von Wolfgang Krolows letzter Wohnung entfernt – an den geistreichen und humorvollen Gesellschafter, als der er sich selbst nicht gesehen hat, an das Kreuzberger Urgestein, das er auf keinen Fall sein wollte, an den eigenwilligen Zeitgenossen, bei dem auch gutes Zureden (z.B. mal sein Werk zu ordnen) vergebene Liebesmüh war, und vor allem an den außergewöhnlichen Fotografen.
Seine vitalen Bilder sind längst Teil der Kreuzberger Geschichte. Sie sind nie sozialromantisch, aber sehr oft romantisch und sozial, ganz so wie Wolfgang Krolow kein Lebemann war, aber ein Mann, der bis zu seinem letzten Tag gern gelebt hat. Und wem er zum Abschied eine Kusshand zuwarf, der wird diese charmante Geste in Erinnerung behalten.

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