2022
Astrid Proll - Fotografin, gesucht
Projektraum Zossener 33, Berlin ---
21. Oktober - 12. November 2022
Als Astrid Proll nach dem Tod ihrer Mutter, die nach ihrer Scheidung in San Francisco gelebt hatte, 2004 ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten reisen wollte, wurde ihr zunächst die Einreise verweigert. Das lag zum einen an den unbegrenzten Möglichkeiten, die man nicht jedem zu eröffnen gedachte, zum anderen aber in der Tatsache begründet, dass Astrid Proll selbst noch am Leben war. Denn auch im alten Europa gab es genügend Leute, die allen, die irgendwie zur RAF gehört hatten, den Tod an den Hals wünschten.
Vielleicht war auch das der Grund, warum sie die Wohnung ihrer Mutter wie einen Tatort fotografieren, vertraute Objekte mit den Mitteln der Kamera memorieren ließ, bevor sich die Spuren eines zu Ende gegangenen Lebens in alle Winde zerstreuten.
1968 hatte Astrid Proll eine Ausbildung an der traditionsreichen Photographischen Lehranstalt des Lette-Vereins begonnen, dessen Gründungsidee bereits ein Jahrhundert zuvor darin bestand, unverheirateten Frauen eine berufliche Perspektive zu bieten. Im Grunde perfekt für eine junge Frau, der nichts ferner lag, als die Ehe einzugehen. Doch ihr Weg zur Fotografie sollte ein Umweg werden. Dabei hatte alles so harmlos begonnen.
In Frankfurt brannte es 1968 weit nach Ladenschluss in zwei Kaufhäusern, um den deutschen Konsumenten etwas vom „knisternden Vietnamgefühl“ zu vermitteln. Eines der Kaufhäuser – Ironie des Schicksals – sollte Jahre später aus ganz unpolitischen Gründen komplett ausbrennen und wurde inzwischen bis auf die Grundmauern zerstört und durch eine Investoren-Tristesse aus Glas und Beton ersetzt, ohne dass dafür jemand zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Damals, 1968, aber, verhaftete man die Brandstifter sofort und verurteilte sie zu drei Jahren Zuchthaus. Ja, Zuchthaus, das gab es noch.
Als selbstständige junge Frau besaß Astrid Proll einen Führerschein und besuchte von Berlin aus die Brandstifter im Knast: ihren sechs Jahre älteren Bruder Thorwald und dessen Mitstreiter Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Horst Söhnlein.
Als es nach 14 Monaten um die Frage einer Revision des Urteils ging, kamen die Delinquenten vorüber-gehend auf freien Fuß. Sofort machten sie ordentlich Wirbel und befreiten durch Protestaktionen im Geiste Ulrike Meinhofs, die sich seit 1965 journalistisch für Heimkinder stark gemacht hatte, ihrerseits rund zweihundert Jugendliche aus Heimen und ehemaligen KZs, wie dem Kloster Breitenau, die nach wie vor Zuchthaus-Charakter besaßen. Diese Aktion, als Heimkampagne in die Geschichte eigegangen, forderte sie voll und ganz. Sie suchten Wohnungen für die Jugendlichen, akquirierten Gelder. Nicht ganz ohne Hintergedanken, denn die prekäre Jugend sollte, nachdem auf die Arbeiterklasse kaum noch Verlass war, der „Randgruppenstrategie“ Herbert Marcuses folgend für die Arbeit an der Revolution motoviert werden. Astrid Proll, selbst geschädigt durch Internatsinternierungen, war begeistert, brach ihre Ausbildung in Berlin ab und unterstützte die Aktion in ihrer hessischen Heimat.
Als die Revision des Brandstifter-Urteils abgewiesen wurde, war das ein Schock. Alle hatten damit gerechnet, dass ihr soziales Engagement als Resozialisierung gesehen würde. Und jetzt das. Drei der vier Verurteilten hatten kein Bedürfnis mehr, ihre verordnete Zuchthaus-Reststrafe abzusitzen. Was blieb, war der Schritt in den Untergrund.
Astrid Proll traf die Geflüchteten in Paris – wo die Fotografien eines ausgelassenen Barbesuchs ent-standen, in denen auch die Intensität der Beziehung zwischen Ensslin und Baader fast greifbar wird – und reiste mit dem Paar weiter nach Italien, wo eine Solidarisierung mit der italienischen Linken nicht nur an der Sprachbarriere scheiterte. Man reiste nach Mailand, nach Rom, weiter nach Sizilien, man diskutierte und stritt, es wurde Winter. Im Grunde interessierte sich keiner sonderlich für die jungen Deutschen, die sich selbst umso mehr als Outlaws zelebrierten. Astrid Proll, stets nur die Dritte in der leidenschaftlichen Paarbeziehung, bekam als erste Heimweh. Sie knackte einen Alfa Romeo und fuhr zurück nach Deutschland – ohne ein Wort gegenüber ihren Kumpanen.
Irgendwann fand sich der Rest der Truppe wieder ein, zurückgerufen nach Deutschland zu einem revolutionären Aufbruch. Astrid Proll bekam einen Anruf von Ulrike Meinhof aus Berlin. Auch auf sie warteten neue Herausforderungen. Es galt Geld zu beschaffen und Waffen. Doch es gab auch zwielichtige Gestalten in ihren Reihen, wie den S-Bahn-Peter.
Die Verhaftung Andreas Baaders, denunziert durch den bombenbauenden V-Mann des Verfassungsschutzes, durchkreuzte zunächst revolutionär-romantische Pläne einer Stadtguerilla. Doch so schnell gab man nicht auf. Klaus Wagenbach beantragte für seinen kommenden Autor Andreas Baader eine „Ausführung zum Quellenstudium“ in das Zentralinstitut für soziale Fragen, wo Baader am 14. Mai 1970 zur Vorbereitung eines Buches über die Heimkampagne die Journalistin Ulrike Meinhof treffen sollte. Die gewaltsame Befreiung lief nicht nach Plan, es fielen überflüssige Schüsse, abgefeuert von einem überflüssigen Macho in den Reihen der Frauen, die sich bis dahin so gut ergänzt hatten. Irgendwann saßen sie im Flucht-Alfa-Romeo. Am Steuer Astrid Proll.
Der Rest ist die Geschichte der RAF. Welches Ereignis nun ihre Gründung bedeutete – ob schon der Kaufhausbrand, die Flucht nach Paris oder erst die Befreiung Baaders –, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Fast schien es, als ob sie in einer Firma arbeiteten, deren Abteilungen den Betrieb organisierten. Die einen beschafften Wohnungen, andere experimentierten mit Sprengstoff oder beschafften Waffen, wieder andere fälschten Pässe und Dokumente. Sie wurden gesucht, erst verdeckt, dann mit Fahndungsplakaten. Sie tarnten sich, so gut es ging, doch Astrid Prolls markante Züge, ihre unverwechselbaren Augen vor allem, ließen sich kaum verbergen. Ein Jahr nach der Befreiung wurde Astrid Proll verhaftet und verbrachte 119 Tage in Isolationshaft. Vor Gericht plädierte sie nach diesem als Folter empfundenen Erlebnis auf „verhandlungsunfähig“, das Gericht folgte – ein einmaliger Vorgang, der sie zur zentralen Figur beim Thema Isolationsfolter machte – nach zäher Verhandlung ihrem Antrag und sie kam 1974 unter Auflagen vorübergehend frei.
London war die Stadt dieser Jahre, tausende besetzter Häuser boten ein ideales Biotop, um unterzutauchen. England, das wurde für sie Freiheit. Einer der ersten, die sie traf, war der Dichter Erich Fried, der einst selbst nach England geflohen war, vor den Nazis. Er schenkte ihr ein Honorar, dass er gerade für eine Lesung bekommen hatte und half ihr beim Ankommen. Verschiedene Namen und Jobs, unter anderem als Automechanikerin, garantierten Astrid Proll einige Jahre ein Auskommen in der Illegalität, bevor sie 1978 verhaftet und nach medienwirksamem Auslieferungsverfahren nach Deutschland zurückging, wo sie wegen Banküberfall und Urkundenfälschung verurteilt und 1980 auf Bewährung entlassen wurde.
Ein Jahrzehnt war seit der Baader-Befreiung vergangen, ein Jahrzehnt, dem sie in ihrem weiteren Leben nicht mehr entkommen sollte: „einmal RAF, immer RAF“. Astrid Proll kannte man von Fahndungsplakaten. Ihr Bild, ihr Name, ihre Berufsbezeichnung: Fotografin. Ihre Vergangenheit kam ihr immer wieder in die Quere, etwa beim „Independent“ in Canary Wharf, wo sie einige Monate arbeitete, bis ihre Vergangenheit in den Fluren der Redaktion diskutiert wurde und sie ihre Arbeit verlor. Von 1987 bis 1995 war sie dann Bildredakteurin bei „Tempo“, schrieb, publizierte, kuratierte.
Nicht vielen RAF-Gründungsmitgliedern ist es gelungen, ihren 75. Geburtstag zu feiern.
Wir möchten mir dieser Ausstellung gratulieren.