2024
news from nowhere
Projektraum Zossener 33, Berlin --- 13. September - 28. September 2024
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Die Ausstellung news from nowhere zeigt Bilder dreier Fotografinnen aus zwei Generationen einer Familie und umfasst Fotografien aus einem halben Jahrhundert.
Helga und Victor von Brauchitsch waren 60 Jahre verheiratet, führten gemeinsam ein Atelier für Fotografie in Frankfurt am Main, gingen jedoch in ihren freien Arbeiten eigene Wege. Es gibt also nicht wie bei anderen Künstler-Duos ein gemeinsames Werk, sondern zwei Œuvre, die bei allen Gemeinsamkeiten ästhetischer Anschauung auch fundamentale Unterschiede offenbaren, die in Charakter und Temperament der beiden Fotografen-Persönlichkeiten begründet sind.
Trotz des klaren Schwarz-Weiß herrscht in den Bildern von Helga von Brauchitsch (27.10.1936 - 7.9.2023) eine lyrische Wärme, die ihre Entsprechung in den südlichen Land¬schaften findet. Erst auf den zweiten Blick fordern die Objekte ihren Platz. Zunächst aber sind es immer nur Strukturen, gezeichnet durch Licht, die sich zu Kompositionen in unendlichen Grauschattierungen arrangieren. Diese Bilder informieren nicht, sie laden dazu ein, ein Geheimnis zu teilen. Sie zeigen Türen, die durchschritten werden wollen, oder Wasserlachen, die zum Einsteigen auffordern. Öffnungen als archaische Symbole für das Transi¬torische des Lebens. Jederzeit und an allen Orten appellieren sie an uns, einen Ausblick zu wagen und die Dinge im Sinne des antiken Gottes der Türen, Janus, von zwei Seiten zu betrachten. Und wie die Distanzen und Dimensionen in den Aufnahmen aufgehoben werden, so verschmelzen auch die Ebenen der Realität zu visuellen Gedichten über die Verflüchtigung der Materie.
Victor von Brauchitsch (* 2.11.1940) destilliert dagegen jedes Objekt zunächst zu einer fotografischen Skulp¬tur. Übrig bleiben bei seiner durchaus humorbewehrten Weltbetrachtung die wortlos-präzisen Kommentare eines Puristen zur Leere, die uns allerorten umgibt. Grenzen zwischen Nord und Süd sind aufgehoben, jede Orientierung obsolet, denn wir befinden uns an den strange locations des Planeten. Es ist eine persönliche Parallelwelt, in die der Fotograf uns einlädt, allerdings nie mit der Aufforderung, es uns dort gemütlich zu machen, denn die Temperatur bleibt abgesenkt und die Zeit eliminiert, und jede Touristen-Idylle ist diesen Landschaften ohnehin gründlich ausgetrieben. Hier werden Bilder zu eingefrorenen Ewig¬keiten, in denen der Mensch mitunter noch durch Spuren latent vorhanden ist. Immer wieder tauchen, wie aus der Leere eines Zen-Raumes, Relikte, Zahlen, Symbole auf, die uns offenbar verlorene Bot¬schaften vermitteln wol¬len. Leben aber ist hier Täuschung, wie der Schattenflug eines Vogels.
Aufgewachsen mit den Bildern seiner Eltern, suchte Boris von Brauchitsch (* 9.8.1963) zunächst eine theoretische Annäherung an die Kunst. Fotografie blieb ihm jedoch immer wesentliches Gegengewicht zu seinen Texten. In seinem Langzeitprojekt „Soziales Plastik“ erfasste er gesellschaftliche Phänomene, die sich in Kunststoff materialisieren. Mit der Serie „9“ plädierte er für eine radikale Reduktion der Bildproduktion: An jedem neuen Ort, den er aufsuchte, entstanden nur noch neun Fotografien, die seinen ersten Eindruck verdichteten. Die Ausstellung news from nowhere zeigt nun vor allem seine frühen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die bereits deutlich machen, wohin die Reise geht: „Länger fühlen und denken, weniger produzieren“, schrieb er in einem Foto-Manifest 2012. „Ein Bild machen, um hundert andere entbehrlich zu machen. Das wäre eine Strategie der Kunst für die Zukunft. Bis dahin gilt: Jedes nicht gemachte Foto ist ein gutes Foto.“