Boris von Brauchitsch

Ernst. Institut für Universalkultur
I. Nicholé Velásquez | The Good, the Bad and the Ugly, 26. Juni - 23. August 2019

Ein Mann nagelt ein schwarzes Tuch an die Wand, auf dass es den Hintergrund bilde für einen hellhäutigen Männerkörper, der davor platziert und fotografiert werden soll.

Ist es das, was wir sehen? Nein, das ist es nicht. Denn der Körper ist längst da, wie eine lebensgroße, schwere und zugleich fragile und somit unverrückbare Statue, und nun erst wird hinter ihm ein Tuch aufgehängt, wie man es in Renaissancegemälden hinter Madonnen aufgespannt finden kann. Der neutrale Raum mit kahler Wand und grauem Boden, der der halböffentliche Raum einer Galerie sein könnte, unterstreicht noch den Objektstatus des Körpers. Der Körper ist das Exponat und der schwarze Stoff soll ihn lediglich noch besser zur Geltung bringen. Gleichzeitig ist das Tuch zu klein, um wirklich als Hintergrund für den gesamten Körper zu dienen. Der Körper sprengt den Rahmen, den der Stoff vorgibt. Und so provisorisch und verknittert der Stoff ist – er wirkt wie ein ungebügelter Bettbezug – so glatt und makellos ist der schmale Körper vor ihm. Ein seltsamer Kontrast, der die Wirkung des Exponats noch steigert.

Nicht nur der Ausstatter hinter dem Modell, sondern auch der Fotograf vor dem Modell ist in Aktion. Während im Hintergrund noch gearbeitet wird, kann es der Fotograf nicht erwarten, so scheint es,  seine Aufnahme zu machen. Er drückt den Auslöser. Ob er einer spontanen Eingebung folgt oder ob das Arrangement inklusive Ausstatter konzipiert ist, ob die vermeintlichen Vorbereitungen für die Inszenierung also selbst Teil der Inszenierung sind, wird der Betrachter nie erfahren. Nur so viel ist sicher, der Fotograf  hat den perfekten Moment getroffen.

Er ist der Dritte im Bunde, wie auch der Bildtitel nahelegt, der drei Personen benennt und Sergio Leones Westernklassiker zitiert, in dem drei rebellische Antihelden immer neue Allianzen schmieden, um durchs Leben zu kommen. Im Film bleibt einer der drei am Ende auf der Strecke, während sich die zwei anderen die Beute teilen. Auch in der Fotografie von Nicholé Velasquez wird der Mann im Hintergrund zur Staffage, während die beiden anderen ihr Blick verbindet. Oder handelt es sich bei diesem Blick um einen Showdown, der nicht mit Revolvern, sondern mit anderen Waffen ausgetragen wird? Aus dem Guten, dem Bösen und dem Hässlichen sind der Sichtbare, der Unsichtbare und der Abwesende geworden.

Denn die untersetzte, unscheinbare Gestalt im Hintergrund mit schütterem Haar und undefiniert grau-grüner, legerer Kleidung ist jedenfalls außen vor, sie dreht uns den Rücken zu, die Arme hoch erhoben, um einen Nagel einzuschlagen. Der nackte elfenbeinfarbene Körper des Mannes vorn ist in jeder Hinsicht das Gegenteil: haarlos und androgyn, jung und völlig entspannt. Er hat den Kopf leicht schief gelegt, nimmt den Blick der Kamera auf und schenkt ihr ein feines Lächeln. Alles was er trägt, ist eine Brille. Und eine Brille ist auch das einzige, was er mit dem Mann im Hintergrund gemeinsam hat.

Werden wir Zeugen des Moments, in dem eine Marmorstatue zum Leben erwacht? In dem der Wunsch des Bildhauers, wie einst bei Pygmalion, nach Fleischwerdung seines Werkes von den Göttern erhört wird? – Das sicher nicht, denn warum sollten Marmorstatuen Brillen tragen? Und wozu sollten sie sich die Schamhaare rasieren? Können Marmorstatuen überhaupt kurzsichtig sein und  sich rasieren? Doch andererseits: Dieser zögerliche Schritt auf den Fotografen zu, den der junge Mann, den klassischen Kontrapost verlassend, macht, könnte wirklich der erste unsichere Schritt einer Marmorstatue sein, die sich gerade eben in Fleisch und Blut verwandelt hat.

Wenn Fotografien nicht nur Speicher vergangener Augenblicke, sondern auch Speicher des Begehrens sein können, dann ist The Good, the Bad and the Ugly zweifellos beides. Vielleicht möchte der Stoff im Hintergrund auch eine Leinwand andeuten, aus der der junge Mann herausgetreten ist, sobald man sie ausgerollt und provisorisch aufgehängt hat. Dann wäre er aus einem Bild gekommen, um zu einem anderen zu werden.

Zwischen den beiden sichtbaren Männern im Bild besteht im Moment der Aufnahme offensichtlich keinerlei Beziehung. Wer weiß, vielleicht gäbe es durchaus Berührungspunkte in ihren Biografien, ihrer Familiengeschichte oder ihren Lebensentwürfen, doch es sieht nicht danach aus, als ob hier das gegenseitige Interesse existiere, diese zu erkunden. Vielleicht haben sie diesen Austausch aber auch bereits hinter sich und das Interesse ist lediglich erlahmt. Zwischen dem jungen Mann und dem Fotografen, also zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, gibt es dagegen einen Blickkontakt, der mehr ist als nur reine Registrierung des Vorhandenseins. Der Blick ist neugierig und erzählt auch etwas vom Vertrauen, dass landläufig erst entwickelt werden muss, bevor man sich vor einer Kamera auszieht.

Doch bevor das Modell einen zweiten Schritt in Richtung des Fotografen tun kann, drückt dieser nun den Auslöser und verwandelt den lebendigen Körper in sein Bild. Er geht damit den umgekehrten Weg, den einst Pygmalion beschritten hat. Er gebietet der erotischen Versuchung Einhalt, indem er sie mitten in der Bewegung einfriert. Aus Leben wird Kunst und diese Kunst besitzt das Potential, nicht nur den Augenblick zu überdauern, sondern auch die Zeit der physischen Existenz von Fotograf und Modell. Drei Männer haben sich in einer Galerie zusammengefunden, um dem Temporären eine relative Ewigkeit zu verleihen. Die Jugend des Nackedeis ist dabei fast ebenso flüchtig und zugleich in der Fotografie fortwährend, wie der Augenblick, in dem der Nagel, vom Hammer getroffen, durch den Stoff in die Wand dringt.  Eines der Geheimnisse der Fotografie ist es nun mal, dass der Moment der Bildwerdung und das Bild identisch sind.

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