Boris von Brauchitsch

ERNST. Institut für Universalkultur
XIII. Clemens Tremmel | Alles und Nichts - 9. August - 10. Oktober 2025

Es waren einmal zwei Künstler, die sind sich nie begegnet. Es lagen keine acht Monate zwischen den Tagen ihrer Geburt, doch der eine lebte in Dresden, der andere in London. Die beiden waren die wichtigsten Maler ihrer Zeit, wussten aber nichts voneinander und hätten kaum gegensätzlicher sein können. Der eine malte den Mond, die Nacht und den Friedhof, die Freundschaft und die Leere, der andere malte die Sonne und das Feuer, Stürme auf See, Häfen als Orte des Aufbruchs und die Geschwindigkeit.

Es ist 250 Jahre her, dass sie geboren wurden. Beide waren ziemlich stur und hatten dennoch zu Leb­zeiten Erfolg – der eine etwas mehr, der andere, der noch sturer war, etwas weniger –, aber es hagelte auch heftige Kritik. Für den einen wegen seiner Farben und seines Stils, für den anderen vor allem wegen seiner Botschaften. Doch heute werden sie gefeiert wie nie zuvor. Was sie verband, war die Landschaft. Zu ihrer Zeit galt Landschaft als Genre wenig, sie stand ganz unten in der Hierarchie der Künste. Also machten die beiden Künstler aus ihren Land­schaften Historienbilder. Historienbilder waren ganz oben angesiedelt, ging es um akademische Wertschätzung. Bei William Turner wurde die Landschaft zum imposanten Ambiente für ein beliebiges Szenario der Mythologie, bei Caspar David Friedrich zum Altarbild.

Beide tauchten ein in die Natur, bevor sie dann zu Hause in ihren Ateliers ihre Erinnerungen auf die Leinwände brachten. Beide füllten unterwegs unzählige Skizzenbücher, der eine auf Wanderschaft in der erweiterten Heimat, der andere auf langen Reisen durch Europa. Und beide begriffen, dass es in der Welt da draußen Momente gibt, in denen die Form der Dinge so weit zurücktritt, dass nur noch Licht und Dunkelheit gegenwärtig scheinen.

Heute Landschaftsmaler zu sein, ist ein ebenso großes Wagnis. Und mehr noch als damals umgibt es den Künstler mit einer Aura des Anachronistischen. Clemens Tremmel hat sich darum nicht geschert. Er malt was er zu malen für elementar und unausweichlich hält.

Dass Landschaftsmalerei an Kunstakademien gegenwärtig ebenso wenig gelehrt wird, wie vor 250 Jahren, darf damals wie heute als Glückfall gelten, so bleibt den Studenten eine institu­tionelle Verbil­dung erspart, sie brauchen nicht erst den Staub der Konvention und die Attitüden ihrer Professoren abschütteln, sondern können selbst auf Entdeckungsreise gehen. Physisch wie geistig.

Schon Turners erster Biograf Walter Thornbury wusste, was Kunstakademien anrichten:

„Sie ermutigen keine neugierigen Genies. Sie verabscheuen Originalität; einige der schlechtes­ten Maler dieser beziehungsweise aller Epochen sind Mitglied in ihrem Gremium; ihre Lehren sind überflüssig, ihre Vorlesungen ohne Nutzen, ihre Bibliothek ein Monopol, ihre Titel eine Farce.“

Und Caspar David Friedrich richtete seine Warnung direkt an die Dozenten:

„Darum, ihr Lehrer der Kunst, die ihr euch dünket so viel mit eurem Wissen und Können, hütet euch sehr, daß ihr nicht einem jeden tyrannisch aufbürdet eure Lehren und Regeln, denn dadurch könnt ihr leichtlich zerknicken die zarten Blumen, zerstören den Tempel der Eigen­tümlichkeit, ohne den der Mensch nichts Großes vermag.“

Wer Landschaftsmaler werden will, muss das aus eigener Kraft werden. Clemens Tremmel gehört zu dieser besonderen Spezies, er hat sich dem Genre ver­schrieben, durchkreuzt den Planeten von Island bis Indonesien, inhaliert über Wochen menschen­leere Weiten und wuchtige Bergmassive und ver­dichtet sie in seinem Leipziger Atelier zu Stimmun­gen, die stets etwas Gewaltiges an sich haben, ganz gleich ob seine Panoramen sich über fünf Meter Breite erstrecken oder als Handtaschenformate prä­sent sind. Immer wirken sie monumental, immer sind sie mehr als nur Abbilder von Landschaften und wenn es eine Botschaft gibt, die sich durch all diese Bilder zieht, dann ist es die Botschaft von der Entbehrlichkeit des Menschen.

Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar, lautet das berühmte Zitat von Paul Klee. Oscar Wilde hat diesen Gedanken bereits zuvor und weit subtiler formuliert: Before Turner there was no fog in London. Bevor Turner ihn malte, existierte der Nebel nicht in der Wahrnehmung, so wie die Landschaften von Clemens Tremmel erst zu existieren beginnen, wenn er sie mit Farbe auf Bildträger bannt, auch wenn sie von realen Orten in der freien Natur inspiriert sein mögen. Das Alles und Nichts dieser Landschaften wird erst begreiflich, wenn sie als Kunstwerke gegenwärtig sind.

Tremmel kennt die großen Vorläufer in der Geschichte der Kunst, und in manchen seiner Werke sucht er auch Berührungspunkte, doch das unbedingte Verlangen nach Landschaft liegt in ihm selbst begründet. Das hat zur Folge, dass diese Bilder Solitäre bleiben in der gegenwärtigen Kunstwelt, ziemlich unverwechselbar, weil nicht aus Kalkül, sondern aus einer Notwendigkeit entstanden, aus einem eigenwilligen Geist. Und, wie Caspar David Friedrich bereits wusste: Wer selber Geist hat, kopiert nicht andere.

Zwei der monumentalen Miniaturen von Clemens Tremmel sind nun bei ERNST, dem Institut für Uni­versalkultur, zu einem Diptychon vereint. Der Maler hat damit eine Hommage an Friedrich und Turner geschaffen, quasi eine Essenz ihres Werkes destilliert und einen Dialog ermöglicht, der zu Leb­zeiten der beiden nicht stattfinden konnte. Die beiden Größten sind auf diese Weise in Berlins kleins­ter Galerie zu Gast.

Der Blick auf die genialen Ahnen aber geht bei Tremmel weit über das Formale, das Stilistische hin­aus. Im Werk Friedrichs bewundert er Entschleunigung, Demut, Mitgefühl. Qualitäten, die er mehr und mehr in der Gegenwart vermisst, während er in Turner den wilden, explosiven Charakter schätzt, der von Erlebnis und Emotion geleiteten wird.

In seinem eigenen Werk, das der energetischen Melancholie im Geiste Friedrichs besonderen Raum gewährt, möchte er jedoch auch diese Entfesselung zelebrieren: „In meiner Brust schlagen zwei Her­zen, beson­nen und zügellos.

Hoffnungsvoll unzeitgemäß erscheinen diese Bilder. Aus der Zeit gefallen und somit der Zeit und ihren Moden magisch enthoben. Wer außer Clemens Tremmel spricht heute noch vom Funken und Feuer der Kunst, von Mysterien und vom Erhabenen? Da liegt der Verdacht nahe, dass wir hier viel­leicht doch ein Einhorn unter den Künstlern der Gegenwart vor uns haben, einen der letzten Roman­tiker, zu Hause in seinem Tempel der Eigentümlichkeit.

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