Boris von Brauchitsch

Ernst. Institut für Universalkultur
III. Zenni Gekas | 25 Jahre wünschenswerte Ausblicke (1993-2018), 26. April - 20. Juni 2020

εξαιρείται περιλαμβάνονται   1. Mai bis 20. Juni 2020

Von den 783 Jahren, die seit einer ersten urkundlichen Erwähnung eines Dorfes namens Kölln auf einer Spreeinsel vergangen sind, hat 28 Jahre eine Mauer jene Stadt durchzogen, die aus diesem Dorf entstanden ist. Auch diese Mauer ist inzwischen schon wieder länger verschwunden, als sie da war. Genau wissen nur noch wenige, wo sie stand, und dennoch hat sie ihren festen Platz in dem, was man die corporate identity der Stadt nennen könnte.

Wie das auch bei Kunstwerken und Personen der Fall sein kann: Je länger sie nicht mehr existieren, desto phantastischer werden die Legenden, die sich um sie ranken. Das Verschwinden der Mauer war spektakulär, die Bilder dieses Verschwindens gingen um die Welt. Fraglos war die Mauer ein einschneidendes Bauwerk, doch die Mauern, die Berlin wirklich ausmachten, waren andere – und sie waren über die ganze Stadt verteilt.

Aktuellen Brandschutzbestimmungen meistenteils Hohn sprechend, bestimmten die fensterlosen Brandwände über Jahrzehnte das Bild Berlins. Sie sollten das Überspringen des Feuers in urbaner Enge verhindern und wurden zum Sinnbild großstädtischer Anonymität – einer Anonymität, die auch hier ambivalent war. Um den Preis einer gewissen Tristesse schirmten Brandwände Nachbarschaftsneugier ab, verhinderten ungewollte Einblicke, aber auch wünschenswerte Ausblicke, denn in den Berliner Hinterhöfen war und ist jeder zusätzliche Sonnenstrahl willkommen.

Für Zenni Gekas (*1979 in Larisa/GR) verkörperten die Brandwände, die fast unmerklich, jedenfalls sehr unspektakulär aus dem Stadtbild verschwanden, weil Kriegsbrachen und andere Baulücken geschlossen wurden, jene improvisierte Freiheit jenseits sozialer Kontrolle und eine elegische Melancholie, die Berlin beiderseits seiner legendären Mauer auszeichnete.

Als Gekas Familie 1993 in die neue gesamtdeutsche Hauptstadt übersiedelte, inspirierten die Künstlerin neben der Trabantensiedlung des Märkischen Viertels vor allem die hermetischen Brandwände zu ihren Betonskulpturen, die über die Jahrzehnte nichts von ihrer gewichtigen, unverrückbaren und zugleich explosiven Wirkung eingebüßt haben und heute aktueller erscheinen den je.

Anlässlich der documentale 2012 paraphrasierte die Kuratorin Ruth Bossi im Ausstellungskatalog den Werdegang der Künstlerin, der die Faszination für das Eingießen und Einmauern begreiflich macht: „Die Geschwister Zenni und Theophanis spielten gemeinsam in einem griechischen Nachwuchs-Fußballkader, bis Zenni mit elf Jahren als Mädchen enttarnt und aussortiert wurde. Während der Bruder eine sportliche Karriere als Stürmer in der 1. Bundesliga machte, ertränkte die Schwester ihr genderspezifisches Scheitern in Alkohol und begann ihren Wunsch nach Vergeltung in Betonblöcke zu gießen, in die sie Fußballfunktionäre hineinimaginierte. So massiv und konkret diese Objekte auch sind, sie besitzen immer zugleich eine unprätentiöse Luzidität. Vor allem, wenn Gekas sie auf dem Meeresgrund versenkt oder als Autobahnbrückenpfeiler in europäische Transferstrecken integriert, vermitteln sie etwas von der Condition humaine und der Natur eines fleischgewordenen Schmerzes. Ihre Präsentation auf der documentale besteht – neben zwei Betontoren – aus zwölf Lifestream-Videomonitoren, die Betonblöcke in den zwölf führenden Fußballnationen der Welt überwachen.“

Wir sind glücklich, dass Zenni Gekas als Ort für ihr Berlin-Debut mit dem Werk „25 Jahre wünschenswerte Ausblicke (1993-2018)“ das Institut für Universalkultur ERNST gewählt hat.

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